Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann;
gib mir den Mut, Dinge zu ändern,
die ich zu ändern vermag,
und gib mir die Weisheit,
das eine vom andern zu unterscheiden.

Rainer Maria Rilke

Dienstag, 23. August 2011

in die Berge




Ab heute werde ich mich für 14 Tage in die Berge verziehen und ein wenig an  meiner Kondition arbeiten. Im Allgäu ( Oberstdorf ) werde ich versuchen die nötige Fitness zu bekommen um dann am 14. September zu starten. Fahrkarte habe ich schon. Das schöne ist diesmal, dass ich direkt von Strassburg nach Bordeaux fahren kann ohne in Paris umsteigen zu müssen. Und das ganze in der 1. Klasse für 65 Euro.

Donnerstag, 4. August 2011

Rummelplatz Jakobsweg


Ganze 68 Pilger kamen im Jahr 1970 in Santiago de Compostela an und wurden registriert, als man dort damit begann eine Statistik zu erstellen und zu veröffentlichen. Bis 1990 stieg die Zahl nur leicht, außer in den so genannten „heiligen Jahren“. Ein heiliges Jahr wird ausgerufen,  wenn der Jakobustag auf einen Sonntag fällt und dann erreicht die Pilgerzahl  leicht 130.000 Walfahrer mehr als in einem „normalen Jahr“,  so geschehen 2010.  Seit 1990 steigt die Zahl kontinuierlich steil an und erreichte mit 270.818 Pilgern im Jahr 2010 einen Höhepunkt. Da aber auch 2010 ein heiliges Jahr war muss man das Jahr 2009 als Vergleich zu den Vorjahren nehmen, da kamen immerhin 145.877 Pilger in Santiago an. Auch im Jahre 2011 wird sich die Zahl der Pilger, die sich im Pilgerbüro die Compostela oder Pilgerurkunde abholen, nochmals um fast 20 % steigern. Anfang August 2011 lag die Zahl der ankommenden Pilger schon bei 100.000. Eine Pilgerurkunde (Compostela) bekommt der, der mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Die Statistik zeigt allerdings immer nur diejenigen an, die in Santiago ankommen. Wer unterwegs aufgibt, und sei es nur 100 Kilometer vor dem Ziel, oder wer nur jedes Jahr eine Etappe läuft, wird nicht erfasst. Über die Erfassten, weiß man so ziemlich alles. Alter, Geschlecht und Nationalität werden registriert. Wegstrecke und Ausgangsort werden ausgewertet. Ob mit Fahrrad, zu Fuß, mit dem Pferd oder im Rollstuhl, alles wird genau erfasst.

Von 1995 bis 2005 nahm der Anteil der Frauen um  6% zu und liegt seitdem ziemlich konstant bei 41%. Auch in  der Altersverteilung hat es eine Verschiebung gegeben. Waren es in den Jahren 1995 bis 2001 noch 52%, die noch keine 30 Jahre alt waren, fiel dieser Anteil bis 2010 auf 29%. Gleichzeitig stieg in diesem Zeitraum die Anzahl der über 65jährigen von 5% auf 13% an. Von 43% auf 58% stieg die Zahl der Pilger zwischen 30 und 60 Jahren. Stetig steigt auch die Zahl der Radpilger die inzwischen 18% erreicht hat. Auch Pilger die mit dem Pferd oder Esel die Strecke bewältigen werden erfasst. Im Jahr 2010 meisterten auch 39 Rollstuhlfahrer die Strecke.
Der Jakobsweg (span. Camino de Santiago) ist der Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Hauptachse ist der  Camino Francés der von  den Pyrenäen zum Jakobsgrab führt. Da der Hauptweg, zumindest in den Sommermonaten, völlig überlaufen ist, bevorzugen viele  Walfahrer andere Pilgerwege, die ebenfalls zum Ziel nach Santiago führen und inzwischen für 30% der Pilger eine Alternative darstellen. Camino Portugues, Camino del Norte (Küstenweg) oder Via del la Plata  sind drei von unzähligen Wegen, die sich sternenförmig über Europa ausbreiten. Das Netz der Jakobswege hat in Europa enorme Ausmaße angenommen, so dass immer mehr Pilger auf einem der Sternenwege unterwegs sind, ohne jemals in Santiago anzukommen.

Hauptmotiv für die beschwerliche Tour sind religiöse Aspekte, so gibt es jedenfalls die Mehrzahl der Pilger an.
Jakobus (Santiago) der Ältere, ein Jünger Jesu, kam als Missionar angeblich bis nach Spanien. Er wurde 44 n. Chr. in Jerusalem enthauptet. Sein Leichnam – so berichtet die Legende – gelangte um 614 nach Spanien, wo seine Grabstätte in Vergessenheit geriet. Im 9. Jh. wurde sein Grabmal wieder entdeckt erfährt seither große Verehrung.
55% wollen nur aus diesen Motiven pilgern. 40% geben ihr Motivation immer noch mit religiös/kulturell an und nur 5% geben reine kulturelle Interessen an. Ob die Zahlen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, darf bezweifelt werden, da die Compostela z.B. in Spanien einen hohen Stellenwert in den Lebensläufen hat, die wir hier nur schwer nachvollziehen können. 
Wenn auch der Anteil der Spanier weniger wird, bilden sie mit immerhin noch 50% die größte Gruppe. Die Deutschen und Franzosen lagen lange Jahre gleich auf Platz 2 und 3. Mit dem Kerkeling Effekt haben die Deutschen mit über 12 % allerdings die Franzosen nach hinten verdrängt. Auch die Italiener wurden mit 10% im Jahr 2006 noch vor den Franzosen in der Pilgerstatistik geführt, inzwischen scheinen sich die Italiener auf ihre eigenen Pilgerwege zu besinnen, die Zahlen rutschen drastisch ab. Nicht unterschlagen darf man die hohe Anzahl der Pilger aus Mittel- und Südamerika und seit neuestem haben auch Japaner und Koreaner den Camino entdeckt.
Wenn man einen Ausblick wagen will, werden die Zahlen in den nächsten Jahren noch ansteigen, aber die Aufnahmefähigkeit des Weges ist erschöpft und es werden immer mehr Pilger auf andere Wege ausweichen müssen. Zwar hat sich die Infrastruktur rund um den Jakobsweg in den letzten Jahren erheblich verbessert, konnte aber trotzdem mit der stetig anwachsenden  Pilgerschar nicht mithalten.

Seit 1987 gelten die Wege der Jakobspilger als europäische Kulturroute. 1993 erfolgte die Ernennung des Jakobsweges zum Weltkulturerbe der UNESCO. Damit verbunden sind erhebliche Fördergelder von mehreren internationalen und nationalen Institutionen, insbesondere von der UNESCO, dem Europarat und natürlich der Europäischen Union.
Die verschiedenen Routen des Jakobsweges betreffen unmittelbar 10 der autonomen Regionen Spaniens. Somit wurden über die von der Europäischen Union bereitgestellten Gelder, vor allem über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), zahlreiche Projekte entlang dieser Routen mitfinanziert. Dabei erstrecken sich die Subventionen nicht nur auf direkt mit dem Weg in Verbindung stehende Aktivitäten, sondern auch auf die Förderung der verschiedenen Wirtschaftstätigkeiten, insbesondere des Tourismus. Ob die Mittel dann auch immer zweckgebunden nach den Bestimmungen verwendet werden, haben selbst EU-Abgeordnete angezweifelt und etliche Anfragen an die EU-Kommission gestellt.
Als Pilger wundert man sich erheblich, wenn man z.B. nach 30 Kilometern auf einen befestigten Weg trifft, der wunderschön mit Natursteinen gepflastert ist, aber nach 500 Metern wieder in der Pampa endet. In der Meseta hat man Tausende Bäume im 50 Meter Abstand gepflanzt, die man gar nicht alle bewässern kann. Man hat wunderschöne Rastplätze angelegt, aber auf dem ganzen Weg gibt es so gut wie keine Toiletten und die Müllentsorgung lässt sehr zu wünschen übrig.
Zur Frage der ordnungsgemäßen Verwendung der Gelder ist zu sagen, dass die Mitgliedstaaten selber  für die korrekte Verwaltung der Mittel verantwortlich sind. Bisher haben die spanischen Behörden der Kommission natürlich keine Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der betreffenden Projekte gemeldet.

Trotz der hohen Subventionen ist die Aufnahmefähigkeit  besonders auf dem Camino  France längst überschritten. Zwar haben in den letzten Jahren etliche neue Herbergen  eröffnet, die allerdings auf privater Basis betrieben, eher an dem schnellen Euro interessiert sind. Weiß man doch nicht wie lange dieser Boom anhält. Fehlende sanitäre Einrichtungen sind nicht  selten und in  den Hauptpilgermonaten müssen sich oft 20 – 30 Pilger eine Toilette oder Waschgelegenheit teilen. Geschlechtertrennung ist da natürlich nur selten möglich und eigentlich kein Thema. Besonders bei den sog. Notunterkünften ist der Zustand nicht mehr tragbar. So sind die hygienischen Zustande in einzelnen Herbergen auch manchmal am Rande des Erträglichen. Wer da am Morgen beim Aufbruch keine Toilette erwischt, muss sich unterwegs in die Büsche schlagen. Während man in Galicien, wo es ziemlich bewaldet ist, dabei noch ziemlich ungestört ist, ist man in der Meseta auf jeden Hügel oder den eigenen Rucksack angewiesen. Da muss man dann auch sehr genau darauf achten, wo man sich zum Rasten niederlässt und seinen Rucksack abstellt. Die Rucksäcke, die man ahnungslos auf einer Wiese abstellt und später auf die Matratze legt, sind auch die Haupttransportmittel für Flöhe, Läuse und Wanzen. Die Zahl  der befallenen Herbergen ist genau so gestiegen wie die Anzahl der Herbergsbenutzer. Da bleibt dem Herbergsbesitzer nur noch die chemische Keule, die überall in großen Mengen eingesetzt wird, und sich in den Schlafräumen ansammelt. Dem Pilger bleibt nur der Weg zur Apotheke, die es in großer Anzahl an der Wegstrecke gibt, und die auf alles vorbereitet sind. Apotheken, Ärzte und Kliniken sind auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, den der Run auf den Jakobsweg mitgebracht hat. Über Blasen, Verstauchungen, Magenverstimmung, Erkältung oder eben Wanzenbefall, braucht man sich kaum Sorgen zu machen. Hilfe gibt es überall, die auch mit der Versichertenkarte der Krankenkasse abgerechnet wird. Aber auch bei schlimmeren Notfällen ist Hilfe nicht weit. Das Netz der Krankenhäuser ist sehr dicht und  die Rettungssysteme sind in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden. Schließlich gibt es immer mehr Pilger, die sich unvorbereitet auf den Weg machen und schon nach ein paar Tagen feststellen, dass es eben kein Sonntagsspaziergang ist jeden Tag zwischen 20 und 30 Kilometer, bergauf und bergab in extremer Gegend und bei extremen Witterungsverhältnissen zu marschieren. Die psychische Belastbarkeit zeigt manchem Pilger nach wenigen Tagen Grenzen. Hotels und Pensionen sind entstanden und private Unterkünfte schießen zwar nicht wie Pilze aus dem Boden, haben aber an Bedeutung zugenommen, da manch genervter Pilger nach längerer Herbergssuche auch gerne das drei oder vierfache des Übernachtungsgeldes zahlt, das er in der Herberge zahlen würde.  Der Gepäcktransport ist auf dem gesamten Weg ein so lukrativer Erwerbszweig, dass es mehrere Anbieter gibt, die sich um das Gepäck des Walfahrers kümmern. Das Gepäck wird in der Herberge am Anfang der Tagesetappe abgeholt und zur Zielherberge befördert. Da hat dann der gute alte Rucksack ausgedient und der Hartschalenkoffer den Part übernommen.
Natürlich gibt es keine Statistik über Vorfälle am Jakobsweg, und wenn, dann werden Sie nicht veröffentlicht. Aus den vielen Pilgerberichten und Internetforen, die im Internet existieren, kann man doch einen gewissen Trend herauslesen. Demnach ist die Diebstahlquote in den Herbergen erheblich gestiegen.  Es ist aber auch leicht sich z. B. als Pilger Zutritt zu den Herbergen zu verschaffen und die vielen doch sehr naiven Mitpilger zu bestehlen. Nicht selten sind gleich mehrere Handys ohne Aufsicht zum Aufladen an eine Steckdose angeschlossen oder der Pilger lässt während des Duschens seine Wertsachen im Rucksack. Eine Statistik gibt es allerdings. Pilger und Verbände erinnern regelmäßig an die Freunde, die auf oder am Jakobsweg verstorben sind. Das es keine Gewalttaten gibt, sondern nur natürliches Ableben und Unfälle ist tröstlich zu wissen.

Montag, 1. August 2011