Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann;
gib mir den Mut, Dinge zu ändern,
die ich zu ändern vermag,
und gib mir die Weisheit,
das eine vom andern zu unterscheiden.

Rainer Maria Rilke

Dienstag, 19. April 2011

es geht ein Zug

Deba  0 km

Um 3 Uhr ist für mich die Nacht zu Ende. In meinem Magen rumort es wie in einem Vulkan. Ich habe schrecklichen Durchfall. Als ich um 6 Uhr wieder in den Schlafsaal komme, sind schon die ersten Pilger beim Aufbruch. Die sanitären Einrichtungen sind wie fast überall auf dem Jakobsweg völlig unzureichend. Alles drängelt sich in dem einen Raum, der für die Männer gedacht ist, aber den jetzt auch die Frauen benutzen müssen, da im Damenwaschraum kein Wasser läuft. Da ich keine Chance habe, auch nur irgendwann die Toilette zu benutzen, verbringe ich die Zeit draußen, bis alle Pilger verschwunden sind.

Auf dem Weg zum nächsten Etappenziel, muss man durch die Ortschaft und am Bahnhof einen Fluss überqueren. Die Kohletabletten, die ich schon um 6 geschluckt habe, zeigen keine Wirkung und so schaffe ich gerade noch den Weg bis zum Bahnhof. Die Alternative, mit der Eisenbahn nach Gernika zu fahren erscheint mir im Moment als einzige Möglichkeit heute hier weg zu kommen. Immerhin geht jede Stunde ein Zug nach Bilbao. Der Fahrkartenverkäufer freut sich, dass er seine Englischkenntnisse anwenden kann und erklärt mir noch, dass ich kurz vor Bilbao umsteigen muss. Dann setze ich mich auf eine Bank und warte auf den Zug. Ein älterer Spanier setzt sich neben mich und spricht mich gleich auf Englisch an. Wahrscheinlich hat er das Gespräch am Schalter mitbekommen und freut sich nun ebenfalls, dass er seine Sprachkenntnisse anwenden kann. Als ich im sage, dass ich Deutscher bin, steigert sich seine Freude ins Unermessliche, und erklärt mir, diesmal in Deutsch, dass er lange Jahre als Matrose auf einem Deutschen Handelsschiff über die Weltmeere fuhr und auch einige Zeit in Hamburg lebte. Wir unterhalten uns eine Zeit und ich erkläre ihm mein  Problem. Jetzt beginnt der alte Mann zu schimpfen, was das Zeug hält. Er schimpft auf die Bahn, die seit Jahren den Service runterfährt und die Toiletten  in den Regionalzügen  abgeschafft hat, und wenn es trotzdem Toiletten gibt, dann sind die entweder kaputt oder abgeschlossen. Und das bei seiner Prostata. Manchmal muss er die zweistündige Fahrt unterbrechen um unterwegs irgendwo Pinkeln zu gehen. Ja,Danke! Da wird es wohl nichts mit meiner Fahrt nach Gernika.

Als der erste Zug nach Bilbao kommt, natürlich ohne Toilette, schaue ich dem alten Mann nach, der im Zug verschwindet. Der Bahnhofsvorsteher oder Fahrkartenverkäufer gibt mir Zeichen, ich solle in den einsteigen, da der Zug gleich abfährt. Als ich abwinke, schüttelt er nur den Kopf, lässt einen Pfiff ertönen und der Zug setzt sich in Bewegung. Der Zug, der gleichzeitig in die Gegenrichtung fährt, hat eine Toilette und ich überlege ernsthaft, ob ich nach San Sebastian zurückfahre. Aber wenn dieser Zug eine Toilette hat, dann hat eventuell der nächste nach Bilbao auch eine Toilette. Also warte ich eine Stunde. Der nächste Zug ist pünktlich und man glaubt es kaum, er hat eine Toilette. Ich steige ein und setzte mich in den Wagen, in dem die Toilette ist.  Ich sitze noch nicht ganz, als ich das Schild an der Klotüre lese, dass die Toilette geschlossen ist. Der Zug fährt ab, und ich stehe wieder auf dem Bahnsteig. Der Fahrkartenverkäufer schüttelt wieder nur den Kopf. Beim nächsten Zug das gleiche Spiel, wieder keine Toilette. Ich weiß nicht wie viele Züge ich  wegfahren lasse. Als gegen 16.00 Uhr endlich ein Zug kommt, der eine funktionierende Toilette hat, nehme ich die Fahrt auf mich. Der Bahnhofsvorstand/ Fahrtkartenverkäufer hat jetzt auch Feierabend und nimmt den gleichen Zug wie ich. Die Stunde mit der Bahn bis zu der Station wo ich umsteigen muss, läuft keineswegs entspannt. Die Zeit will überhaupt nicht vergehen. Dann kommt auch noch eine Fahrscheinkontrolle und die Dame nimmt es sehr genau. Sie spricht nur Spanisch, aber ich kann aus ihren Gesten erkenne, das sie von mir wissen will, warum ich die Fahrkarte heute morgen gekauft habe, aber jetzt erst fahre, ist doch die Fahrkarte nur zum sofortigen Fahrtantritt bestimmt. Ich überlege schon, wie ich der Frau das am besten erkläre, als mir der Fahrkartenverkäufer zu Hilfe kommt. Er spricht zwei Sätze Spanisch mit der Kontrolleurin und alles ist geritzt. Es ist fast sieben, als ich Gernika ankomme.  In der Touristeninformation erfahre ich, wo sich die Jugendherberge befindet und dass die Übernachtung fast 30 Euro kostet. Da mir der Weg ein wenig weit und der Preis ein wenig zu hoch erscheinen, frage ich nach einer Pension. Die gibt es auch, sogar ganz in der Nähe und kostet 50 Euro pro Nacht.

Die Jugendherberge ist schön. Die 6Bettzimmer sind  sauber und es gibt duftend frische Bettwäsche. Außerdem ist in dem Preis das Frühstücksbuffet  enthalten. Es gibt genügend Wasch- und Duschmöglichkeiten. Nicht weit weg ist auch eine Kneipe.

Montag, 18. April 2011

Bürokratie

Zumaia  Deba  12 km

Es ist noch dunkel, als wir aufstehen und die Herberge verlassen. Ohne zu bezahlen oder ohne Stempel in unserem Pilgerpass wollen wir aber nicht abhauen und klingeln nach dem Besitzer. Nach einiger Zeit kommt dieser auch, wenn auch noch total verschlafen. Da wir das Geld von je 10 Euro passend haben ersparen wir uns den Stempel und ziehen von dannen.


Die Etappe ist nur 12 Kilometer lang, eigentlich kurz und doch unendlich. Wir gehen  langsam und machen viele Pausen. Aber es ist wunderschön sich unter schattigen Bäumen auszuruhen und die Landschaft zu genießen. Wir brauchen fast 5 Stunden für die 12 Kilometer bis nach Deba, dessen Pilgerherberge wir gegen Mittag erreichen. Die Pilgerherberge liegt auf dem Weg in die Stadt. Es ist eine alte Turnhalle und der Eingang ist fast versteckt an der Seite. Mir freuen uns schon auf die Dusche, immerhin gibt es eine für die Damen und eine für Herren. Bei 4 Schlafsälen mit je 16 Betten sind wir froh, so früh angekommen zu sein und wollen uns gleich frisch machen. Die Putzfrau lässt dies allerdings nicht zu und meint wir müssen erst in die Stadt um uns anzumelden.

Also Gepäck wieder aufladen. Es in der Herberge zu lassen erscheint uns etwas zu gewagt. Es gibt zwei Aufzüge in die Stadt, von denen einer leider seinen Dienst verweigert und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Treppen hinunter zu steigen. Von den Einwohnern werden wir unaufgefordert und ziemlich konsequent zum Rathaus gelotst. Es scheint tägliche Routine zu sein, die Pilger an die richtige Stelle zu bringen. Allerdings ist das Rathaus nicht der richtige Anlaufpunkt und ein freundlicher Polizist erklärt uns, dass wir erst zur Touristeninformation müssten. Ich muss etwas verwundert geschaut haben, denn er nimmt mich an den Arm und geht mit mir hinaus, um mir den Weg zu erklären. Dabei versucht er es sogar in Englisch und gestikuliert wild mit den Händen. Ich verstehe eigentlich nur Bahnhof bzw. Kathedrale. Aber eins verstehe ich sofort, als er auf die Uhr zeigt. Es ist kurz vor zwei und die Information schließt von 2 bis um 5. Also ab im Laufschritt. Die Dame an der Rezeption, hat ihren  Schreibtisch schon aufgeräumt und beabsichtigt wohl jeden Moment in die Mittagspause zu verschwinden. Sie nimmt sich trotzdem Zeit für uns und  händigt jedem einen Schlüssel für die Herberge. Außerdem versorgt sie uns noch mit Prospektmaterial. Wir machen uns wieder auf den Weg  zurück zur Herberge. Zwei Pilger, die uns entgegen kommen, klopfen allerdings vergeblich an die Tür zum Verkehrsbüro. Die nette Dame hat ihre Siesta schon begonnen. Als wir zu den beiden Aufzügen kommen, hat auch der zweite seinen Geist aufgegeben. Also Treppensteigen.










Nach einer schönen Dusche gehen wir abermals in die Stadt. Uns ist nach etwas zum Essen zumute.  Wir sitzen auf dem Marktplatz und sehen  dem Treiben, dass nun langsam weniger wird, eine Zeitlang zu. Es erscheinen immer mehr Pilger, die allerdings die Zeit bis um 5 Uhr mit Warten verbringen müssen, was sich allerdings ohne Probleme ertragen lässt. Die Speisenkarte des Restaurants hat eine Menge zu bieten. Allerdings habe ich vom Start in Irun bis heute noch nichts Richtiges gegessen. Außer Croissant zum Frühstück und zwei belegte Brote, haben nur noch zwei Bananen und eine Tafel Schokolade meine Verpflegung bereichert. Ich entscheide mich für einen Salat mit Fisch und der ist so vorzüglich, dass ich alles in mich hineinschlinge. Nach dem Essen verbringen wir die Zeit bis zum Abend am Strand. Dann bewegen wir uns wieder zu Herberge. Die ersten 2 Schlafsäle der Herberge sind gerammelt voll. Die einzige Dusche steht unter Wasser. Dafür gibt es auf den Toiletten kein Wasser und auch kein Papier.  Ein älterer Herr hat jetzt wohl die Aufsicht übernommen. Er hat vor den Schlafsälen einen Tisch aufgebaut und sitzt dort wie wichtig dreinschauend wie ein Portier in einem 4 Sternehotel. Den wenigen Pilgern, die jetzt noch ankommen, erklärt er sehr energisch, dass sie erst in die Stadt müssen, der Formalitäten wegen. Ich frage mich, was wohl Pilger machen, die nach Schließung des Touristenbüros ankommen und ein Bett belegen wollen?.


Inzwischen ist es fast 21.00 Uhr und 3 von den Schlafsälen sind voll. Der vierte Raum ist dagegen völlig leer. Da inzwischen alle Herbergssuchenden angekommen sein dürften, beschließe ich, der Enge im Schlafsaal zu entliehen und will mir meine Schlafstätte in dem leeren Raum herrichten. Da hab ich aber die Rechnung ohne den Aufpasser gemacht, der mir ziemlich unwirsch klar macht, dass das ganz unmöglich ist.


Etwas später bemerke ich, dass einige Pilger die gleiche Idee hatten wie ich und in dem vierten Raum verschwinden. Da inzwischen der Pförtner auch verschwunden ist, nehme ich meine Klamotten um dort zu schlafen. Doch die Pilger haben sich schon verteilt und der Raum ist gar nicht mehr so leer wie ich gedacht habe.

Sonntag, 17. April 2011

Frust

Orio - Zumaia   18 km  ( 22 km)

Um 7 stehe ich auf und verlasse die Arena. Ich mache mich schnell aus dem Staub, weil ich unbedingt alleine gehen will, und Uwe unbedingt mit mir laufen will. Jedenfalls sage ich ihm noch, dass ich heute Abend in die Herberge Villa Luz in Zumaia übernachten werde. Das soll eine schöne Herberge sein, wo es frische Bettwäsche, einen schönen Garten, eine Küche und  auch Internet gibt, so steht es jedenfalls im Pilgerführer. 

Aufbruch bei Morgengrauen
langsam wird es Tag

Blick auf Zarautz



 

Obwohl es wieder mal steil bergauf geht, schaffe ich die ersten 8 Kilometer nach Zarautz in gut 2 ½ Stunden und werde mit einer tollen Aussicht belohnt. Es ist noch keine 10 Uhr, trotzdem sind der Strand und die Promenade gerammelt voll. Von weitem höre ich schon den Lärm und auch die Musik einer Kapelle und frage mich, ob die wohl von  der Nacht übrig geblieben sind, oder welches Fest dort heute gefeiert wird? Als ich näher komme erkenne ich den Grund. Es findet wieder einmal ein Fußballturnier statt, von dem ich schon so viel gelesen hatte.  Praktisch findet dieses Turnier, an dem die verschiedenen Mannschaften teilnehmen auf dem Meeresgrund statt. Dabei sind die Organisatoren auf die Gezeiten angewiesen. Kaum zieht sich das Wasser bei Ebbe zurück, werden einige Fußballfelder eingezeichnet und Tore aufgestellt. Von einer Musikkapelle angeführt und nach Mannschaften getrennt, ziehen die Spieler gefolgt von ihren Fans über die Promenade zu den einzelnen Spielstätten. Dann geht eins der schönsten Turniere los. Männlein, Weiblein, alt und jung kämpfen um 30 oder 40 Pokale die auf einem Tisch am Strand ausgestellt sind. Jedes Tor wird umjubelt und die Spielstände werden über etliche Lautsprecher krächzend über den gesamten Ort mitgeteilt. Alles erscheint mir ein wenig hektisch, vielleicht liegt es daran, das die Spielflächen schon bald wieder im Meer verschwinden

Ich schaue mir das Treiben ein wenig an, bevorzuge es aber in eine Bar zu gehen, um in Ruhe einen Kaffee zu  trinken. Allerdings geht es auch in der Bar ziemlich hektisch zu, da gerade das Formel1 Rennen aus Shanghai übertragen wird, und die Barbesucher sich zwischen dem Fußballturnier und Rennverlauf nicht entscheiden können. 

Anmarsch zum Turnier

Fuballturnier auf dem Meeresgrund


Der Weg nach Getaria

 

Schon bald breche ich wieder auf. Und natürlich geht es gleich wieder steil bergauf. Diesmal so steil, das ich als Alternative die Küstenstrasse bis zum nächsten Ort Getaria wähle um dort dann nach Askizu hochzusteigen. Auf der Küstenstrasse sind es nicht ganz 5 Kilometer, die will ich eigentlich ganz schnell hinter mich bringen. Es ist Sonntag und die Karwoche beginnt. Jeder Spanier ob Einwohner und Urlauber hat sich dieses Stück Küstenstrasse als Sonntagvormittagwander- walking- jogging -meetingetappe ausgesucht. Jetzt kommt noch hinzu, dass es neben der Strasse nur einen schmalen Fußweg gibt. Dieser Weg wird durch eine kleine Mauer zum Meer hin begrenzt, gleich daneben geht es steil hinab ins Meer bzw. auf die Klippen. Links von der Strasse steigt das Gelände sehr steil an und die Strasse wird, auch wegen des Steinschlags, von einer etwa 5- 8 Meter hohen Mauer begrenzt. Ich bin noch keinen Kilometer gegangen, wenn man überhaupt von gehen sprechen kann, (der Weg gleicht eher einer Slalomstrecke, so viele Menschen treffen hier aufeinander) da merke ich den Kaffee, den ich vorher so genussvoll getrunken habe. . Aber von einem  „stillen Örtchen“ bin ich weit entfernt und ich sehe hier auch keine Möglichkeit ins Gebüsch zu verschwinden. Panik ergreift mich. Je hastiger ich jetzt laufe so panischer werde ich. Praktisch in letzter Asekunde entdecke ich eine kleine Treppe zum Meer, allerdings durch ein Stahltor getrennt, das auch noch verschlossen ist. Ich weiß nicht was die Leute denken, als ich mit vollem Gepäck über das Tor steige, ich weiß auch nicht, wie ich es geschafft habe, dieses Tor zu überwinden. Jedenfalls kann ich mich hinter einem Felsen von meiner Panik befreien. Der Weg an der Küste war jedenfalls doppelt so anstrengend, wie über den Berg.



Zumaia

 

Von Zarautz nach Zumaia sind es gut 10 Kilometer. Ich brauche über 4 Stunden, und bin total kaputt, den die letzten 5 Kilometer waren wieder ein einziges auf- und ab. Da der Ort auch ziemlich überfüllt ist, gehe ich gleich zur Herberge. Ich wundere mich über die vielen Menschen, die hier festlich angezogen ihren Aperitif auf der Strasse genießen. Wahrscheinlich hat es irgendwas mit dem heutigen Palmsonntag zu tun. Ich werde nachher irgendwen fragen,  wenn ich geduscht habe.  Schnell finde ich die Herberge, eine alte Villa mit einem kleinen Park, was aber alles andere als idyllisch ist.  Die Herberge ist in einem grausamen Zustand. Es ist dunkel und muffig und die Betten in den zwei Schlafräumen fallen fast auseinander.  Die Matratzen sind dreckig und die Kopfkissen stinken. Auf dem Boden stehen zwei Plastikschüsseln, daneben ein Krug mit Wasser und ein Behälter mit Salz und Kräuter. Die Waschküche ist gleichzeitig Bad und Toilette. Die einzige Toilette ist dreckig und Klopapier fehlt sowieso. Die Dusche ist kaputt, der Duschkopf  liegt auf dem Boden. Im einzigen Waschbecken liegt eingeweichte Bettwäsche. Die Waschmaschine ist auch noch voll, wahrscheinlich nicht mal fertig gewaschen. Die Bettwäsche die zum Beziehen der Betten bereit liegt ist noch feucht. In einem Schlafsaal hat jemand seine Wäsche und seine ganzen Utensilien  ausgebreitet, ja es sieht eigentlich so aus, als ob hier jemand länger wohnt. Ich beschließe sofort wieder zu gehen und treffe draußen auf Uwe, der schon eine Zeitlang da ist. Im Garten läuft ein Hund umher, der genau so dreckig ist, wie die zwei Schafe die unter einem Baum  grasen sollen, aber schon alles abgegrast haben und nur noch auf der Erde nach Blätter Ausschau halten, die vom Baum fallen. Ein Schaf ist am Baum festgebunden und ganz sich nur im Umkreis von 2 Metern bewegen, das andere Schaf ist nicht angebunden und könnte eigentlich frei herumlaufen, doch es weicht dem anderen Schaf nicht von der Seite. Die Küche ist eigentlich eine Garage oder die Garage ist eigentlich die Küche. Entweder hat hier gestern Abend eine riesen Fete stattgefunden oder es hat schon 14 tage keiner mehr saubergemacht. Das letztere ist wahrscheinlicher. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Ob der Autor des Pilgerführers die Herberge überhaupt gesehen hat?

Da ich nicht die Absicht habe hier zu übernachten, gehe ich erst mal zurück in den Ort um bei einem Bier in meinem Führer nach der nächsten Herberge zu erkundigen. Eine weitere Herberge im Ort ist nur im Sommer geöffnet , eine weitere Herberge ist etwa 2 Kilometer weiter auf einem Bauernhof. Allerdings sind nochmals 300 Höhenmeter zu bewältigen. Ich mache mich langsam auf den Weg zu diesem Bauernhof, der schon von unten in der ferne zu sehen ist. Es dauert fast 40 Minuten, bis ich dort angekommen feststellen muss, dass alles verweist ist und dass auch hier heute keiner mehr eine Herberge betreibt. Mehr als 10 Kilometer nach Deba, das schaffe ich allerdings auch  nicht mehr. Also zurück in den Ort und in ein Hotel. Aber ich hatte es schon geahnt. Nichts alles belegt oder geschlossen. Ich treffe den Frührentner Uwe und er überredet mich dazu, dass ich doch in der Villa Lutz übernachte.

Ich kann mich ja in meinen Schlafsack rollen und morgen früh gleich wieder aus dem Staub machen. Den Abend bis zur Bettruhe vertreiben wir uns die zeit in einem der vielen Lokale. Der Besitzer der Herberge lässt sich nur kurz blicken um uns zu sagen, dass er den Pilgerpass erst morgen abstempelt und wir erst morgen zahlen sollen. Er muss heute noch auf eine Feier und kommt erst spät zurück. Ich frage noch nach dem Internet, um endlich mal Kontakt nach Haus aufzunehmen. Der Hospitalero erklärt mir, dass der PC in seiner Wohnung, die sich im 1 Stock befindet steht, von dort aus Internet möglich ist, aber nicht immer und wenn, dann nur sehr langsam. Da ich aber auf der Tastatur keine Buchstaben mehr erkennen kann – um es dabei zu belassen- lasse ich es auch mit dem Internet. Der Abend mit Uwe wird trotzdem schön und als wir gegen 22,.00 Uhr wieder in der Herberge sind wundert es mich nicht, dass keine anderen Pilger eingetroffen sind. Wir sind die einzigen die hier heute Nacht  bleiben werden. Doch da waren ja noch die Sachen in dem anderen Schlafraum. Es muss doch noch jemand da sein, oder gehörten die Sachen dem Besitzer?

So sieht die Herberge ja ganz schön aus

aber wenn man genauer hinschaut


 

Wir wurden schnell aufgeklärt. Kurze zeit später erschienen zwei Gestalten. Zweifellos keine Pilger sondern eher Arbeiter oder sogar Obdachlose.  Torkelnd vom Alkoholdunst umnebelt riefen Sie nach dem Besitzer, der allerdings ja auf einem Fest war. Sie gingen gleich in den anderen Schlafsaal und warfen ihr Gepäck, das eigentlich nur aus mehreren Plastiktüten bestand auf eines der Betten, dann gingen sie in die Garage bzw. Küche um ihr Abendessen einzunehmen. Das Abendessen bestand aus Brot, Käse und Wein. Genau wie das Abendessen eines Pilgers, allerdings glaube ich nicht, dass Pilger so viel Wein trinken.   Mit dem Abendessen kaum fertig, lassen sie alles stehen und liegen und schmeißen sich, so wie sie gekommen sind, mit samt ihrer Klamotten aufs Bett. Gott sei Dank liegen sie in einem anderen Raum. Das einzige was mir noch bleibt, ist es die Tür zu diesem Schafsaal zu schließen.


Samstag, 16. April 2011

Endlose Berge

San Sebastian - Orio 20 km

Obwohl ich nur kurz geschlafen habe und eigentlich todmüde bin stehe ich um 6 Uhr auf. Ich versuche leise zu sein, weil die Radfahrer noch schlafen, aber irgendwie gelingt mir das nicht.  Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt höre ich die 4 Spanier schimpfen. Es ist noch dunkel, als ich den steilen Weg nach San Sebastian hinunter steige. Es ist unheimlich steil und die vielen Treppen sind auch nicht mehr die sichersten. Ich muss mich ernsthaft konzentrieren, dass ich mir nicht irgendwo die Haxen verstauche. Früh morgens durch eine Stadt zu laufen, die gerade aufwacht, finde ich aufregend und schön. In der Hauptstrasse bauen die ersten Markthändler ihre Stände auf, während die Kehrmaschinen geräuschvoll und wasserspritzend um sie herumkreisen. Die ersten Cafes öffnen, Tische und Stühle werden auf dem Gehweg hin- und hergeschoben. An der Bushaltestelle warten die Menschen auf die ersten Busse. Ich laufe die Strandpromenade entlang und stimme zu, dass die Concha-Bucht einer der schönsten Stadtstrände auf der Welt sein muss, auch wenn ich nicht so viele Stadtstrände kenne.  Leider sind gerade unendlich viele Baustellen mit hohen Holzwänden abgesichert, so dass der Blick auf die Stadt etwas eingeschränkt ist. Nach der Menge der Abfälle, die auf dem über 3 Kilometer langen Abschnitt liegen, muss hier gestern Abend die größte Party der letzten Monate stattgefunden haben. Aber es war nur ein ganz normaler Freitagabend im April eine Woche vor Ostern.  Wie muss es hier erst im Sommer aussehen? Aber die vielen Kehrmaschinen, denen ich immer wieder ausweichen muss und die mich doch immer wieder mit ihrem Wasserstrahl treffen, versprechen, dass es hier in zwei stunden wieder sauber ist. Gegen 9.00 Uhr liegt die Stadt hinter mir und bevor es wieder hoch in die Berge geht genehmige ich mir eine Cafe und ein Croissant. 

San Sebastian

Die Stadt wacht erst auf

Concha-Bucht

Samstag Morgen


Die ersten Jogger


Mein Frühstück

Der Anstieg ist sehr steil, aber die Aussicht entschädigt für die Strapaze. Dann geht es immer an der Küste entlang ständig rauf und runter. Aber der tag ist schön, es ist warm und ein leichter Wind verschafft einem immer wieder etwas Kühlung. In Orio beschließe ich zu bleiben. Gleich am Ortseingang befindet sich eine private Herberge. Der Schlafraum befindet sich auf der Rückseite in einem Keller und die Küche ist in einem kleinen Gartenhäuschen untergebracht. Ich dusche und genieße die Aussicht, während immer mehr Pilger eintreffen.  




auf dem Höhenweg nach Zumaia

trifft man so manchen Esel

Weit ist der Weg





Herberge von Orio




Ich schaue mir die Stadt an und treffe Uwe aus Bonn, einen Frühpensionär, der auch alleine läuft. Er plant 2 Monate bis Santiago und hatte über 20 Kilo Gepäck dabei. Inzwischen hat er 2 Pakete per Post nach Hause geschickt, was ihm 130 Euro gekostet hat. Den Schlafsack hat er auch verschickt, ein paar Holzsandaletten aber schleppt er immer noch mit. Das wichtigste ist sein Navi-gerät, das jeden seiner Schritte aufzeichnet. Trotzdem weiß er nie wo er gerade ist. Schon vier Tage versucht er mit seinem Handy nach Hause zu telefonieren, was aber irgendwie nicht funktioniert.  Schnell stelle ich fest, dass er einfach nur die Vorwahl vergessen hat. Der Weg zurück zur Herberge ist beschwerlich und zu zweit auch nicht einfacher zu bewältigen. Wir sitzen noch lange in der Gartenlaube, und schauen den anderen Pilgern beim Kochen zu. Einige Pilger haben Abendessen für 10 Euro bestellt, einen Salat und Huhn mit Reis, was gut aussieht und sicher ausgezeichnet schmeckt.

Etwas später erscheinen noch 3 junge Leute, 1 deutsches Pärchen ca. 20 Jahre und eine gleichaltrige Spanierin die perfektes Deutsch spricht. Die Drei sind heute Morgen in Irun losgelaufen und wollen in 3 Tagen bis Bilbao, wovon ihnen aber die Herbergsinhaberin abrät. Das sei ja viel zu weit und zu beschwerlich. Aber die drei sind fest davon überzeugt, dass sie das schaffen. 

Irgendwann, als es fast schon Zeit fürs Bett ist, erklärt uns die Herbergsbesitzerin, dass wir heute bitte nicht die Türe schließen sollen, sondern nur anlehnen dürfen, weil alle Familienangehörigen und auch alle Pilger ins Dorf gehen, um das Fußballspiel Madrid gegen Barcelona zu verfolgen.  Damit war es natürlich aus mit der Nachtruhe. Die ersten kamen um 1.00 Uhr lärmend zurück die letzten um 5.00 Uhr. 

 

Freitag, 15. April 2011

Der erste Tag

Irun - San Sebastian ( Donostia ) 26 km 

Kurz nach 21.00  Uhr komme ich in Irun an. Ich finde die Herberge in der Nähe des Bahnhofs sofort. Jetzt bin ich schon das dritte Mal in Irun. Leider hatte ich in den beiden Jahren vorher keine Ahnung, dass es in Irun als Ausgangspunkt zum Camino nord eine Herberge gibt und bin in jedes Mal in teuren Hotels abgestiegen. Die Unterkunft ist in einem Wohnhaus und  auf mein Klingeln öffnet einer der Pilger. Es sind nur wenige Pilger da und von einem Hospitalero oder Herbergsvater  keine Spur. Es ist fast 22.00 Uhr und weil ich müde bin  schreibe mich in das Buch ein, belege ein Bett in einem der Zimmer. Gegen 23.00 erscheint ein älterer Mann und erklärt mir, dass man sich nicht selber in das Buch schreibt sondern auf ihn warten muss. Allerdings geht er aber immer vom 9.00 bis 11.00 Uhr zum Abendessen. Außerdem bin ich im falschen Zimmer und muss in ein anderes Zimmer, das aber ebenfalls leer ist. Ich bin etwas irritiert messe dem ganzen aber wenig Bedeutung zu. Jedenfalls schlafe ich ausgezeichnet und werde um 6 Uhr von lauter aber klassischer  Musik und von Glockengeläut geweckt. Der Hospitalero erscheint an meinem Bett und gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich sofort aufstehen muss. Als ich die Herberge verlasse, sitzen die anderen Pilger beim Frühstück und ich werde laut und herzlich verabschiedet. Schade, dass ich nie frühstücke, ich wäre jetzt gerne noch mit den anderen am Tisch gesessen.
Herberge in Irun
 

Am Morgen des ersten Tages erst mal durch Irun























Der erste Tag ist immer schlimm. Obwohl ich doch genug trainiert habe und auch wesentlich weniger Gepäck herumschleppe, als die letzten Jahre, drückt mich mein Rucksack wie ein  Kleiderschrank. Und dann erst die Strecke:
Nur kurz durch die Stadt und gleich von 0 auf 500 Meter. Oben angekommen bin ich schon nass und auch das Wetter sieht jetzt noch nach Regen aus. Aber dann der Anblick über das Wasser und die Küste. Einfach traumhaft. Die nächsten etwa 12 Kilometer auf dem Kamm immer am Meer entlang sind ein außergewöhnliches Erlebnis.  Außer `ne Menge Pferde mit Glocken um den Hals treffe ich nur noch 2 Pilger. Einer aus Frankreich und einer aus Tschechien. Das heißt aber nicht, dass es hier oben einsam ist im Gegenteil. Für Jogger und Mountainbiker ist diese Strecke ideales Trainingsgebiet.





 




Ermita de Guadalupe

auf dem Weg zum Jaizkibel

Der erste Blick auf den Atlantik


















Dann muss ich wieder runter auf Meereshöhe, überquere mit einem kleinen  Boot den Atlantik, jedenfalls 100 Meter davon. Jetzt, nach über 4 Stunden, mache ich eine Pause und sitze in der Sonne.
Dann muss ich wieder auf 400 Meter rauf. Die nächsten 4 Kilometer Küstenweg entschädigen für diese Strapaze. Immer wieder werde ich von Walkern und Joggern überholt. Jetzt spüre ich zum ersten Mal, dass ich mich hier in einem der bevölkerungsreichsten Gegenden Spanien befinde. Und als ich das erste Mal auf San Sebastian blicke frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, sich  aus den großen Städten herauszuhalten. Jetzt ist es noch keine zwei Uhr, aber ich beschließe, dass ich in einer der beiden Herbergen vor San Sebastian übernachten werde. Die Stadt will ich morgen in aller Frühe durchqueren.





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Die erste Herberge die ich anlaufe, ist die einer christlichen Gemeinschaft, von der es auch einen Ableger in Deutschland gibt. Ein riesengroßes Gelände und mittendrin 2 Mongolenzelte die besser ausgestattet sind als manche Herberge. Ein paar Kilometer vor San Sebastian liegt diese Enklave und ich bin total beeindruckt. Die Gastfreundschaft mit der man empfangen wird ist unbeschreiblich.  Eigentlich will ich bleiben und trotzdem zieht es mich weiter.



















Bin aber dann noch 1km weiter und übernachte jetzt in einer Jugendherberge, die mit einer Jugendherberge (wie ich sie kenne) aber nichts gemein hat. Ferienwohnung mit 4 Betten und Küche. Restaurant, Internet und das tollste: Sie liegt oberhalb von St. Sebastian und der Blick auf diese tolle Stadt ist einmalig. Außerdem ist jetzt das beste Wetter. Ich sitze mit TShirt in der Sonne.
Es ist kurz nach zwei und die Spanier kommen zum Essen. Nach langem Warten bekomme ich für 24 Euro ein Zimmer, was heißt Zimmer. Ein Appartement mit Küche und Terrasse. Ausgestattet für 4 Personen aber alles für mich allein. Ich bin begeistert. Ich dusche und mache mich frisch. Die Bettwäsche duftet hervorragend und nachdem ich mein bett bezogen habe gehe ich in das Restaurant, bekomme allerdings keinen Platz. Macht nichts essen will ich eh erst heute Abend und ein Bier bei der Aussicht ist im Moment das was ich mir eigentlich gewünscht habe.
Was mich dann doch etwas verwundert, ist die Ausgelassenheit, der jungen Leute die ungeniert ihre Drogen auspacken und genussvoll Zigaretten drehen. Während ich noch überlege, was wohl in den Plastikbeuteln ist und an Kamillentee denke lese ich die Speisenkarte und freue mich auf das Abendessen. Ich gehe noch ein wenig spazieren und genieße die wunderschöne Landschaft.






Um 19.00 Uhr begebe ich mich erneut ins Restaurant. Das Restaurant hat sich geleert, lediglich auf der Terrasse sitzen noch die jungen Leute von heute Mittag, jetzt allerdings ziemlich zugedröhnt. Ich weiß nicht, ob von dem vielen Alkohol oder den „ Kamillenteezigaretten“  Um 20.00 Uhr ist immer noch nichts los im Restaurant und auch vom Koch ist nichts zu sehen. Die Edelstahlküche ist picobello geputzt und leuchtet im Abendrot der untergehenden Sonne, die jetzt im Meer hinter San Sebastian verschwindet. Eigentlich ziemlich romantisch. Doch ich habe Hunger.
Schnell gibt mir die Angestellte hinter der Bar zu verstehen, dass abends keine Küche geöffnet ist und auch nichts zu essen gibt. Nicht hat mal ein Sandwich. Ich bin ganz schön frustriert und kaufe mir am Automat ein Päckchen Erdnüsse und eine Tafel Schokolade. Dann setze ich mich auf meine Terrasse und ärgere mich, dass ich nicht in der letzten Herberge geblieben bin.
Um 22.00 Uhr gehe ich ins Bett und schlafe auch schnell ein, es ist doch schön wenn man ein Zimmer für sich hat. Doch schon eine Stunde später werde ich unsanft aus dem Schlaf gerissen. Vier junge Leute erscheinen. Nach ihrem Aussehen sind es Radpilger oder auch nur Radfahrer. Und jetzt komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie packen aus und fangen auch noch an zu kochen. Ich koche auch, aber ganz anders. Die 4 Spanier tun so, als ob ich überhaupt nicht im Zimmer wäre. Was bleibt mir übrig, als aufzustehen. Ich setzte mich auf die Terrasse und schaue in den trotzdem schönen Sternenhimmel. Es dauert nicht lange, da sitzen auch zwei von den Späteinkehrern neben mir und blasen ihren Zigarettenrauch in den kalten Wind, der wiederum mir den Dunst um die Nase führt.