Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann;
gib mir den Mut, Dinge zu ändern,
die ich zu ändern vermag,
und gib mir die Weisheit,
das eine vom andern zu unterscheiden.

Rainer Maria Rilke

Sonntag, 17. April 2011

Frust

Orio - Zumaia   18 km  ( 22 km)

Um 7 stehe ich auf und verlasse die Arena. Ich mache mich schnell aus dem Staub, weil ich unbedingt alleine gehen will, und Uwe unbedingt mit mir laufen will. Jedenfalls sage ich ihm noch, dass ich heute Abend in die Herberge Villa Luz in Zumaia übernachten werde. Das soll eine schöne Herberge sein, wo es frische Bettwäsche, einen schönen Garten, eine Küche und  auch Internet gibt, so steht es jedenfalls im Pilgerführer. 

Aufbruch bei Morgengrauen
langsam wird es Tag

Blick auf Zarautz



 

Obwohl es wieder mal steil bergauf geht, schaffe ich die ersten 8 Kilometer nach Zarautz in gut 2 ½ Stunden und werde mit einer tollen Aussicht belohnt. Es ist noch keine 10 Uhr, trotzdem sind der Strand und die Promenade gerammelt voll. Von weitem höre ich schon den Lärm und auch die Musik einer Kapelle und frage mich, ob die wohl von  der Nacht übrig geblieben sind, oder welches Fest dort heute gefeiert wird? Als ich näher komme erkenne ich den Grund. Es findet wieder einmal ein Fußballturnier statt, von dem ich schon so viel gelesen hatte.  Praktisch findet dieses Turnier, an dem die verschiedenen Mannschaften teilnehmen auf dem Meeresgrund statt. Dabei sind die Organisatoren auf die Gezeiten angewiesen. Kaum zieht sich das Wasser bei Ebbe zurück, werden einige Fußballfelder eingezeichnet und Tore aufgestellt. Von einer Musikkapelle angeführt und nach Mannschaften getrennt, ziehen die Spieler gefolgt von ihren Fans über die Promenade zu den einzelnen Spielstätten. Dann geht eins der schönsten Turniere los. Männlein, Weiblein, alt und jung kämpfen um 30 oder 40 Pokale die auf einem Tisch am Strand ausgestellt sind. Jedes Tor wird umjubelt und die Spielstände werden über etliche Lautsprecher krächzend über den gesamten Ort mitgeteilt. Alles erscheint mir ein wenig hektisch, vielleicht liegt es daran, das die Spielflächen schon bald wieder im Meer verschwinden

Ich schaue mir das Treiben ein wenig an, bevorzuge es aber in eine Bar zu gehen, um in Ruhe einen Kaffee zu  trinken. Allerdings geht es auch in der Bar ziemlich hektisch zu, da gerade das Formel1 Rennen aus Shanghai übertragen wird, und die Barbesucher sich zwischen dem Fußballturnier und Rennverlauf nicht entscheiden können. 

Anmarsch zum Turnier

Fuballturnier auf dem Meeresgrund


Der Weg nach Getaria

 

Schon bald breche ich wieder auf. Und natürlich geht es gleich wieder steil bergauf. Diesmal so steil, das ich als Alternative die Küstenstrasse bis zum nächsten Ort Getaria wähle um dort dann nach Askizu hochzusteigen. Auf der Küstenstrasse sind es nicht ganz 5 Kilometer, die will ich eigentlich ganz schnell hinter mich bringen. Es ist Sonntag und die Karwoche beginnt. Jeder Spanier ob Einwohner und Urlauber hat sich dieses Stück Küstenstrasse als Sonntagvormittagwander- walking- jogging -meetingetappe ausgesucht. Jetzt kommt noch hinzu, dass es neben der Strasse nur einen schmalen Fußweg gibt. Dieser Weg wird durch eine kleine Mauer zum Meer hin begrenzt, gleich daneben geht es steil hinab ins Meer bzw. auf die Klippen. Links von der Strasse steigt das Gelände sehr steil an und die Strasse wird, auch wegen des Steinschlags, von einer etwa 5- 8 Meter hohen Mauer begrenzt. Ich bin noch keinen Kilometer gegangen, wenn man überhaupt von gehen sprechen kann, (der Weg gleicht eher einer Slalomstrecke, so viele Menschen treffen hier aufeinander) da merke ich den Kaffee, den ich vorher so genussvoll getrunken habe. . Aber von einem  „stillen Örtchen“ bin ich weit entfernt und ich sehe hier auch keine Möglichkeit ins Gebüsch zu verschwinden. Panik ergreift mich. Je hastiger ich jetzt laufe so panischer werde ich. Praktisch in letzter Asekunde entdecke ich eine kleine Treppe zum Meer, allerdings durch ein Stahltor getrennt, das auch noch verschlossen ist. Ich weiß nicht was die Leute denken, als ich mit vollem Gepäck über das Tor steige, ich weiß auch nicht, wie ich es geschafft habe, dieses Tor zu überwinden. Jedenfalls kann ich mich hinter einem Felsen von meiner Panik befreien. Der Weg an der Küste war jedenfalls doppelt so anstrengend, wie über den Berg.



Zumaia

 

Von Zarautz nach Zumaia sind es gut 10 Kilometer. Ich brauche über 4 Stunden, und bin total kaputt, den die letzten 5 Kilometer waren wieder ein einziges auf- und ab. Da der Ort auch ziemlich überfüllt ist, gehe ich gleich zur Herberge. Ich wundere mich über die vielen Menschen, die hier festlich angezogen ihren Aperitif auf der Strasse genießen. Wahrscheinlich hat es irgendwas mit dem heutigen Palmsonntag zu tun. Ich werde nachher irgendwen fragen,  wenn ich geduscht habe.  Schnell finde ich die Herberge, eine alte Villa mit einem kleinen Park, was aber alles andere als idyllisch ist.  Die Herberge ist in einem grausamen Zustand. Es ist dunkel und muffig und die Betten in den zwei Schlafräumen fallen fast auseinander.  Die Matratzen sind dreckig und die Kopfkissen stinken. Auf dem Boden stehen zwei Plastikschüsseln, daneben ein Krug mit Wasser und ein Behälter mit Salz und Kräuter. Die Waschküche ist gleichzeitig Bad und Toilette. Die einzige Toilette ist dreckig und Klopapier fehlt sowieso. Die Dusche ist kaputt, der Duschkopf  liegt auf dem Boden. Im einzigen Waschbecken liegt eingeweichte Bettwäsche. Die Waschmaschine ist auch noch voll, wahrscheinlich nicht mal fertig gewaschen. Die Bettwäsche die zum Beziehen der Betten bereit liegt ist noch feucht. In einem Schlafsaal hat jemand seine Wäsche und seine ganzen Utensilien  ausgebreitet, ja es sieht eigentlich so aus, als ob hier jemand länger wohnt. Ich beschließe sofort wieder zu gehen und treffe draußen auf Uwe, der schon eine Zeitlang da ist. Im Garten läuft ein Hund umher, der genau so dreckig ist, wie die zwei Schafe die unter einem Baum  grasen sollen, aber schon alles abgegrast haben und nur noch auf der Erde nach Blätter Ausschau halten, die vom Baum fallen. Ein Schaf ist am Baum festgebunden und ganz sich nur im Umkreis von 2 Metern bewegen, das andere Schaf ist nicht angebunden und könnte eigentlich frei herumlaufen, doch es weicht dem anderen Schaf nicht von der Seite. Die Küche ist eigentlich eine Garage oder die Garage ist eigentlich die Küche. Entweder hat hier gestern Abend eine riesen Fete stattgefunden oder es hat schon 14 tage keiner mehr saubergemacht. Das letztere ist wahrscheinlicher. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Ob der Autor des Pilgerführers die Herberge überhaupt gesehen hat?

Da ich nicht die Absicht habe hier zu übernachten, gehe ich erst mal zurück in den Ort um bei einem Bier in meinem Führer nach der nächsten Herberge zu erkundigen. Eine weitere Herberge im Ort ist nur im Sommer geöffnet , eine weitere Herberge ist etwa 2 Kilometer weiter auf einem Bauernhof. Allerdings sind nochmals 300 Höhenmeter zu bewältigen. Ich mache mich langsam auf den Weg zu diesem Bauernhof, der schon von unten in der ferne zu sehen ist. Es dauert fast 40 Minuten, bis ich dort angekommen feststellen muss, dass alles verweist ist und dass auch hier heute keiner mehr eine Herberge betreibt. Mehr als 10 Kilometer nach Deba, das schaffe ich allerdings auch  nicht mehr. Also zurück in den Ort und in ein Hotel. Aber ich hatte es schon geahnt. Nichts alles belegt oder geschlossen. Ich treffe den Frührentner Uwe und er überredet mich dazu, dass ich doch in der Villa Lutz übernachte.

Ich kann mich ja in meinen Schlafsack rollen und morgen früh gleich wieder aus dem Staub machen. Den Abend bis zur Bettruhe vertreiben wir uns die zeit in einem der vielen Lokale. Der Besitzer der Herberge lässt sich nur kurz blicken um uns zu sagen, dass er den Pilgerpass erst morgen abstempelt und wir erst morgen zahlen sollen. Er muss heute noch auf eine Feier und kommt erst spät zurück. Ich frage noch nach dem Internet, um endlich mal Kontakt nach Haus aufzunehmen. Der Hospitalero erklärt mir, dass der PC in seiner Wohnung, die sich im 1 Stock befindet steht, von dort aus Internet möglich ist, aber nicht immer und wenn, dann nur sehr langsam. Da ich aber auf der Tastatur keine Buchstaben mehr erkennen kann – um es dabei zu belassen- lasse ich es auch mit dem Internet. Der Abend mit Uwe wird trotzdem schön und als wir gegen 22,.00 Uhr wieder in der Herberge sind wundert es mich nicht, dass keine anderen Pilger eingetroffen sind. Wir sind die einzigen die hier heute Nacht  bleiben werden. Doch da waren ja noch die Sachen in dem anderen Schlafraum. Es muss doch noch jemand da sein, oder gehörten die Sachen dem Besitzer?

So sieht die Herberge ja ganz schön aus

aber wenn man genauer hinschaut


 

Wir wurden schnell aufgeklärt. Kurze zeit später erschienen zwei Gestalten. Zweifellos keine Pilger sondern eher Arbeiter oder sogar Obdachlose.  Torkelnd vom Alkoholdunst umnebelt riefen Sie nach dem Besitzer, der allerdings ja auf einem Fest war. Sie gingen gleich in den anderen Schlafsaal und warfen ihr Gepäck, das eigentlich nur aus mehreren Plastiktüten bestand auf eines der Betten, dann gingen sie in die Garage bzw. Küche um ihr Abendessen einzunehmen. Das Abendessen bestand aus Brot, Käse und Wein. Genau wie das Abendessen eines Pilgers, allerdings glaube ich nicht, dass Pilger so viel Wein trinken.   Mit dem Abendessen kaum fertig, lassen sie alles stehen und liegen und schmeißen sich, so wie sie gekommen sind, mit samt ihrer Klamotten aufs Bett. Gott sei Dank liegen sie in einem anderen Raum. Das einzige was mir noch bleibt, ist es die Tür zu diesem Schafsaal zu schließen.


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