Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann;
gib mir den Mut, Dinge zu ändern,
die ich zu ändern vermag,
und gib mir die Weisheit,
das eine vom andern zu unterscheiden.

Rainer Maria Rilke

Donnerstag, 18. Februar 2010

der Frühling kommt doch noch

Nimburg am Kaiserstuhl


Lieber Klaus,

Ich habe mich sehr über Deine ausführlich Mail mit den vielen spannenden Infos gefreut.
Inzwischen habe ich erste Schritte für die Realisierung meines Abenteuers unternommen. Pilgerpass beantragt, VHS-Kurs Anfängerspanisch gebucht, Paul Coelho gelesen, Hape Kerkeling auch, Karten und Internetforen durchforstet und immer wieder die zwischen Wunsch und Unsicherheit an mich gerichtete Frage, wie gut will und werde ich mich auf dem Jakobsweg kennenlernen,  und wird es mir gut tun? Fest steht: ich stehe mit beiden Beinen im Leben, bin mutig, neugierig und von dem Wunsch beseelt, meinen inneren Weg zu gehen. 
Ganz praktische Fragen belasten mich eher: ich hörte, das es vor den Refugios schon Mittags Warteschlangen gibt??? Und was macht man, wenn alles ausgebucht ist, und es keine Pension in dem Örtchen gibt??? Sollte man tatsächlich ein Zimmer zwei Tage vorher per Handy reservieren finde ich irgendwie stillos. Wie gehe ich mit eventuell herumstreunenden Hunden um. Wirkt Pfefferspray?
Da ich unbedingt in Santiago ankommen will, und ja die letzten 100 km vor dem Ziel gelaufen sein muss, werde ich wohl für einige Strecken den Bus oder die Bahn nehmen. Gilt das als ehrenrührig?
Ich werde mir in dieser Woche Wanderstiefel kaufen, und sie bei vielen Spaziergängen rund um unsere schöne Alster (7,5 km) weich laufen. Überhaupt die Füße: gibt es schon eine Art Fußtraining vor der Reise, damit die zarten Füßchen die rauhen Strapazen von Geröll und permanentem Schuhdruck unbeschadet überstehen?  Ich las, dass man die Füße morgens mit Hirschtalg einreiben solle, so wie es die alten Soldaten machten...Ich werde jedenfalls beim Kauf von Socken&Co nur das Allerbeste nehmen. Die Frage ist auch, ob man noch ein paar Sandalen einpacken sollte.
Ich denke an warmen Tagen sehnt sich der Fuß nach Atmung und Raum zum Ausdehnen der Zehen, oder ? Allerdings sollte man wohl an jedem Gramm Gewicht geizen, um den armen Rücken nicht eine zu große Last zuzumuten.
Den eigenen Rücksack packen stelle ich mir fast so intim vor, wie ein Tagebuch schreiben. Man trägt ja sein kleines Haus auf dem Rücken. Zumindest für eine Zeit befindet sich dort alles, was dem Menschen Identität, Überlebens-Werkzeug, und vielleicht auch spirituelle Kraft gibt. Zum ersten Mal werde ich dann wohl auch ein Messer im Gepäck haben zum Käse aus der Hand essen, zum Brot schneiden, oder einfach nur als gefühltes Verteidigungsinstrument in kritischen Situationen. Welche sollten das für eine Frau sein- Hunde, Diebe, Vergewaltiger? Ich bin bisher mit viel Optimismus und klarem Verstand gut über die Runden gekommen und so soll es auch 
bleiben.
Allein schon diese  wenigen Wochen mit der gedanklichen Einstimmung auf das Abenteuer Jakobsweg geben mir eine schöne Energie und das Gefühl, einen wichtigen Schritt  auf dem Weg zu mir selbst zu gehen.

Nachtrag: 

Vorhin habe ich mir kurzentschlossen Wanderstiefel gekauft- richtig edle, lederne wunderschöne Stiefel von Meindl, dazu die teuersten Strümpfe meines Lebens.
Überhaupt: wenn man durch das Globetrotter-Kaufhaus  hier in Hamburg wandelt, möchte man nur zuschlagen. Es gibt einfach zu verführerische Wander-Outfits, zum Beispiel feinste wollene Unterwäsche, die wärmt und kühlt und überhaupt das Leben viel schöner und gesünder macht. Die ganze Atmosphäre dort ist überhaupt so frisch, knackig gesund und biofrisch, als wenn man auf einer grünen Wolke über den Regenwald segelt. Jetzt habe ich jedenfalls eine Pilger-Packliste, und nun sollte es losgehen. Morgen beginne ich einen kurzen spanisch Crash-Kurs.
Es ist doch nett, wenn man sich mit Restaurantchefs, Bauern auf dem Feld oder spanischen Pilgern ein paar Begrüßungsworte zurufen kann.
Ich bin immer noch unsicher, von wo ich meinen Weg laufen soll, und ob ich unbedingt
in Santiago ankommen sollte. Lust hätte ich schon, aber dann kann es nicht vom Pamplona losgehen. Vielleicht wäre Burgos ein Startpunkt, von dem aus das Ziel nicht in so unerreichbarer Ferne erscheint. Mir geht es wie dir: ich werde diesem Weg ganz sicher noch  häufiger gehen, und muss deshalb nicht die ganze Route "durchziehen".
Du siehst, ich bin noch mitten in der Planungsphase.
Ich würde mich über Post von Dir freuen.
Liebe Grüsse aus dem verschneiten und eisig kalten Hamburg von
I..


Liebe I..,


Gestern bin ich ein Stück des Jakobswegs -dem badischen Jakobsweg- gegangen und obwohl ich eigentlich entgegen Santiago, also nach Norden gegangen bin, habe ich mich doch wieder ein Stück näher meinem Ziel gefühlt.

Mit ein paar praktischen Dingen muss ich mich aber auch noch befassen. Ich brauche noch ein Regenumhang, der auch Platz für den Rucksack hat, leicht ist und trotzdem bei einer Windböe am Körper bleibt. Eine Lupe, die leicht ist und bei der Unterwäsche habe ich mich auch noch nicht entschieden, ob ich mir jetzt welche aus Mikrofaser zulege.
Das mit dem Bettbezug aus Mikrofaser habe ich wieder verworfen, da mir das trotzdem noch zu schwer ist.  Also, du siehst, dass auch mich mit ganz profanen Dingen beschäftige.

Dass ich mal keine Übernachtung finden könnte, beschäftigt mich eher nicht. Habe es nicht erlebt, dass es irgendwelche Probleme gab. Natürlich sind die Gemeindeherbergen oder die kirchlichen Unterkünfte beliebt, schließlich ist die Übernachtung manchmal umsonst, oder für  3 – 5 Euro zu haben.  Außerdem sind diese Herbergen immer eine gute Bank für Neuigkeiten, Treffpunkte und Kommunikation. Wenn diese Herbergen dann auch noch in den zentralen Orten oder an „Etappenzielen“ sind, sind diese natürlich heiß begehrt. Dass es hier in den Monaten Juli oder August Warteschlangen gibt, kann ich mir gut vorstellen. Ich würde mich nicht um 12.00 Uhr mittags an eine dieser Menschenansammlungen anstelle. Die Vorstellung ist mir gerade zu schauderlich. Dafür gehe ich nicht den Jakobsweg. Es gibt viele private Herbergen, Pensionen, Hotels und Privatzimmer. Und ich bin bereit, auch mal einen Euro mehr auszugeben.  Ein Zimmer zu reservieren ist bei meiner Vorstellung von Etappenzielen nicht möglich und bestimmt auch nicht nötig. Aber wie gesagt, da mache ich mir weniger sorgen, als über streunende Hunde.
Bei meiner Hundephobie, habe ich mir natürlich auch Pfefferspray gekauft, und wenn ich morgens um 7 Uhr im dunkeln alleine durch eine Ortschaft lief, habe ich schon manchmal Gänsehaut gehabt. Aber das Sprichwort „ Hunde die bellen, beißen nicht „ muss wohl stimmen. Ich habe meine chemische Keule jedenfalls nicht einsetzen müssen. Außerdem habe ich noch meinen Pilgerstab aus knochigem Kastanienholz, der sieht so furchterregend aus, da halten alle Hunde Abstand.
Mit dem Pfefferspray ist das auch so eine Sache. Ich weiß bis heute nicht, ob es überhaupt in Spanien erlaubt ist, dieses mit sich zu führen, geschweige denn einzusetzen. Die größte Angst hatte ich jedenfalls bei der Grenzkontrolle, weil die Kontrollen in Nordspanien doch sehr intensiv sind. Man hat hier immer noch Angst vor Anschlägen der ETA o. ä. 
Im letzten Jahr habe ich mein Pfefferspray in einem Waffengeschäft gekauft, weil ich über die Benutzung und Sicherheit fachlich beraten werden wollte. Das habe ich dann mit den 5fachen Preis bezahlt. Inzwischen habe ich festgestellt, dass Pfefferspray  bei jedem Schlüsseldienst und eine einem Fall sogar bei der Postagentur für unter 5 Euro zu haben ist. Da bleibt nur noch die Frage nimmt man Pfefferspray mit Zielstrahl oder Zerstäuber?  Die Frage ist nicht nur ironisch gemeint. Beim Zielstrahl kann man sein Ziel verfehlen und dann trotzdem gebissen werden, einem Zerstäuber kann man im Kampf mit der Bestie selber was abbekommen und ist dann auch wehrlos gegenüber seinem Kontrahenten. Also, jede menge Stoff zum Philosophieren, aber nichts für pragmatische Menschen.

Über die Ausrüstung habe ich ja schon ab und zu ausgelassen. Und sicher ist es auch wichtig- sehr wichtig sogar-. Aber teilweise geht mir das ganze Kommerzgehabe über die sog. Outdoorausrüstung auf den Keks.  Dass ich bei Schuhen, mit denen ich einige Hundert Kilometer laufen will, nicht zu Reno gehe, sondern vernünftige Qualität bevorzuge ist selbstverständlich. Dass ich aber für ein Mikrofaserhandtuch 3o Euro zahle, wenn es das gleiche Tuch bei Karstadt für 9,90 gibt, sehe ich überhaupt nicht ein.
Ebenso ist es mit der Kleidung. Wollige, warme Unterwäsche ist vielleicht nicht gerade das richtige. ( Trocknet schlecht, ist schwer) aber sog. Funktionsunterwäsche gibt es auch schon zu vernünftigen Preisen, eben nicht im Outdoorgeschäft. Ich könnte noch viel über Kleidung schreiben, so sind z.b. die Socken sehr wichtig. Socken die Falten werfen, oder Nähte haben sind ein Angriffspunkt für schmerzhafte Blasen. Deine Idee mit den Sandalen finde ich sehr gut. Natürlich müssen die Sandalen auch gut eingelaufen sein. Sandalen verursachen die meisten Blasen nicht am Fußballen, sondern da wo die Riemen scheuern.
Aber auch bei Funktionskleidung geht die Meinung der „ Experten“ weit auseinander.
Funktionskleidung soll die Feuchtigkeit nach außen abgeben aber Eindringen der Kälte verhindern, was wiederum bewirkt, dass Körper wegen fehlender Verdunstung überhitzt.
Da steh ich nun als kleiner Tor und bin nun klüger ( dummer ) als zuvor.

Aber jetzt muss ich wieder mal Schluss machen, sonst höre ich gar nicht mehr auf.

Habe übrigens im Internet recherchiert, von wegen Pilgerseminar. Nachdem ich den Preis gesehen habe, war ich ziemlich entsetzt.  Da ich weiß, dass es auch Pilgerseminare
(Vorbereitungsseminare) gibt die wesentlich günstiger sind, (Ansprechpartner sind hier die einzelnen Jakobusgesellschaften) habe ich mich mehr mit  Raimund Joos beschäftigt und war eigentlich ziemlich entsetzt. Was die Vermarktung des Jakobsweges betrifft, treibt er es auf die Spitze.
Aber dass muss wohl so sein???
Die Frage lass ich erst mal so stehen. Ich muss mich damit noch ein wenig mehr auseinandersetzen.

So sei denn gegrüßt aus dem schönen badischen Land, wo es hoffentlich bald wärmer wird und die Sonne den Kaiserstuhl erwärmt, der mir in den nächsten Wochen Geborgenheit und Kraft bei den Vorbereitungen auf meinem Weg nach Santiago.

Klaus



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